Was ist eine gute Bildgeschichte? Visual Journalism and Documentary Photography studieren

Fotojournalismus - das Wichtigste in Kürze

  1. Der VGH-Fotopreis - einer der höchstdotierten Auszeichnungen für Bildjournalisten

  2. Fotoreportage, Dokumentarfilm oder Datenvisualisierung - die Inhalte des Studiums

  3. Seminar ‘Kurzzeitreportage’ im 1. Semester: “Ehrenamt: Helmut trainiert die F-Jugend”

  4. Fotoreportage, Essay oder Serie -was ist der Unterschied?

  5. ‘Visual Storytelling’. “Der jüngste Bürgermeister Deutschlands

  6. Vom ‚Educational Newsroom‘ über das Hochschul-Magazin in die Praktika bei DER SPIEGEL oder stern

  7. Mappenberatung für Bewerber - online oder auf der Expo Plaza

  8. Das Auswahlverfahren - vom Portfolio zur Eignungsprüfung

  9. Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung: Das 11. Gebot

  10. Foto-Volontär bei dpa Deutsche Presse Agentur in Berlin und München

  11. Als Fotojournalist über die Fußball-Bundesliga berichten: Jan Woitas über seine Arbeit bei dpa in Leipzig

Ein russisches Ferienlager in Sibirien, nahe Tomsk. Nicht viel größer, als ein Fußballplatz. Es erinnert an ein Bootcamp. Das Interessante daran sind jedoch die Verstrickungen: Die Symbiose von Politik und Militarismus, Macht und Religion und den russischen Traditionen, die den Kindern vermittelt werden. Deshalb war es für einen russischstämmigen Fotojournalismus-Studierenden spannend, als vermeintlich „einer von ihnen“ mit der Kamera live dabei zu sein.

Seit mehr als einem Jahrzehnt treffen sich in Tomsk jeden Sommer rund 150 Kinder und Jugendliche. Ein ehemaliger Soldat, ein Nostalgiker des zaristischen, bäuerlichen Russlands und die orthodoxe Kirche haben es sich zum Ziel gesetzt, die Kinder „auszubilden“. Denn für einen echten Russen reicht es nicht, nur körperlich fit zu sein und gut mit Waffen umgehen zu können. Auch die Bräuche und die Geschichte des eigenen Mutterlandes spielen eine wichtige Rolle. Einige der Kinder können eine AK-47 „blind“ auseinander- und zusammenbauen. Der Pfarrer nimmt einem Jungen die Beichte ab. Krieg ist in Russland heilig. Wer ihn kritisiert, begeht eine Straftat. Aber nicht jedes Kind hält dem Drill - zwei Wochen ohne Pause - und der immensen körperlichen Belastung stand. Denn im Sommer ist es in Sibirien unglaublich heiß. So heiß, dass der Rasen völlig verbrennt.  

Visual Journalism and Documentary Photography |“Russlands neue Verteidiger”|Philipp Jeske

Symbiose von Politik und Militarismus, Macht und Religion: Mit seiner Fotoreportage “Russlands neue Verteidiger” gewann Philipp Jeske den VGH-Fotopreis, Foto und Bildrechte: Philipp Jeske, HsH Hochschule Hannover.

Was ist ein gutes Bild? „Ein Foto, das etwas erzählt“, sagt Magnum-Fotograf Thomas Hoepker: „Das Stimmungen und Gefühle transportiert.“ Aber Fotojournalismus, das sind nicht Einzelbilder, sondern Bildgeschichten. Mit seiner Fotoreportage „Russlands neue Verteidiger“, einer sehr einfühlsam sensiblen und zugleich journalistisch hochrelevanten Arbeit gewann Philipp Jeske, Studierender an der HsH Hochschule Hannover, den VGH-Fotopreis eines großen Versicherungskonzerns. Mit 10 Tsd. EUR ist dieser Preis bundesweit einer der höchstdotierten Auszeichnungen unter Fotografen. Eine hochkarätig besetzte Jury ermittelt jährlich die beste Fotoreportage: Henner Flohr, Leiter der F.A.Z.-Bildredaktion; Lara Huck, Bildredaktion DIE ZEIT; Andreas Trampe, Bildredaktion des stern, Matthias Krug, Bildredakteur bei DER SPIEGEL sowie die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Karen Fromm von der HsH Hochschule Hannover.

„Als Journalist mit Bildern und Videos Geschichten erzählen, die bewegen und verändern: Das lernst du in unserem Studiengang“, sagt Prof. Michael Hauri. Der Schweizer kam vor zwanzig Jahren selbst nach Hannover, um hier Fotojournalismus zu studieren und hat viele Jahre für die F.A.Z. und sein eigenes Unternehmen, 2470.media GmbH Berlin, gearbeitet: „Das Studium bietet nicht nur die Möglichkeit, kreativ zu arbeiten, sondern auch journalistische Erfahrungen zu sammeln. Und ist praxisnah, zweisprachig und international ausgerichtet.“

Früher war es eine eigene Magie, in der Dunkelkammer zu arbeiten und Filme zu entwickeln. Nur der Fotograf konnte das. Heute werden täglich mehr als eine Mrd. Bilder weltweit im Netz hochgeladen. Die Preise für Fotos sind am Boden. Das Fotografen-Handwerk wird nicht mehr wertgeschätzt. Denn im Handwerk werden die Ideen anderer umgesetzt.

Visual Journalism and Documentary Photography bedeutet dagegen, die Welt mit eigenen Ideen durch dramatische Bilder und Videos zu beleuchten. „Du lernst, eigene, komplexe Geschichten mit der Kamera oder einem Smartphone festzuhalten und dabei immer den journalistischen Anspruch im Blick zu behalten“, betont Prof. Christoph Bangert anlässlich seiner Online-Mappenberatung via Zoom. „Denn die Betonung liegt auf Journalistik. Ob Fotoreportage, Dokumentarfilm oder Datenvisualisierung – all das gehört hier in Hannover dazu.“ Bangert hat in New York Fotojournalismus studiert. Im Auftrag der New York Times dokumentierte er die Kriege in Afghanistan und dem Irak und lehrt an der HsH unter anderem Auslandsreportage. Er war Jury-Mitglied beim Word Press Photo Award oder beim Henri-Nannen-Preis. Aber es gibt in der Medienwelt noch andere Aufgaben: Alle schauen aus dem gleichen Fenster, aber jeder hat eine andere Geschichte gesehen. „Als Bildredakteur kannst du aus tausenden von Fotos, die täglich eingehen, Bilder auswählen und in eine richtige Reihenfolge bringen und editieren. Das ist kein Handwerk, sondern eine künstlerische Aufgabe“, betont Prof. Michael Trippel, viele Jahre festangestellter Vertragsfotograf des Magazins stern: „Das Bild finden, das den Charakter eines Menschen, wie etwa Donald Trump, besonders gut ausdrückt – das ist euer Blick auf die Welt.“ Es geht immer darum, visuelle Geschichten zu schaffen, die Menschen informieren, inspirieren und manchmal auch wachrütteln. Die Studierenden der HsH Hochschule Hannover setzen sich im Storytelling mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander und veröffentlichen ihre Arbeiten.

Visual Journalism and Documentary Photography studieren - „Ihr sollt mehr laufen und auf die Gestik des Protagonisten und den Höhepunkt des Bewegungsablaufs achten“ – Seminar Kurzzeitreportage an der HsH Hochschule Hannover

„Ihr sollt mehr laufen und auf die Gestik des Protagonisten und den Höhepunkt des Bewegungsablaufs achten“ – Seminar Kurzzeitreportage an der HsH Hochschule Hannover, Foto: Uwe Kästner

Los geht’s im ersten Semester mit Recherche, digitaler Bildbearbeitung, Typographie, und Layout. Übergreifenden Themen, wie etwa Designtheorie oder Kunstgeschichte werden im Hörsaal für alle Studiengänge gemeinsam angeboten. Ebenso Einführungen ins Fotostudio. Oder ins Filmstudio. Hier die Inhalte des Studiums. Wir sind im Seminar ‚Kurzzeitreportage‘ im 1. Semester: Das gemeinsame Thema: „Ehrenamt“: Helmut (77) trainiert die F-Jugend von Eintracht Hannover in der Südstadt. Er ist auch der Kassenwart. Fotos von Helmut und der U9 sind als Ausdrucke an die Wand gepinnt. „Man sieht, was er alles macht, er pflegt den Rasen und sammelt Geld ein“, sagt Matteo. „Aber seine Verankerung im Kleinstadtverein kommt nicht rüber“, entgegnet der Gründungsvater des Studiengangs, Prof. Rolf Nobel, der durch Fotoreportagen in GEO und stern bekannt wurde und die Galerie für Fotografie GAF leitet. Dort werden zweimal jährlich alle Bachelor-Arbeiten ausgestellt. „Der Bezug zum Viertel fehlt völlig, dass er eine bekannte Figur ist, die zum Verein gehört. Man kennt ihn. Alle grüßen ihn. Bei einer Figur, die so charismatisch ist, braucht man so ein Bild.“ Dann geht es an die Redundanzen, also Bilder von Motiven, die sich wiederholen: Hängt zwei Bilder, die sich ähneln übereinander und wählt aus! „Hier tröstet er den Jungen, der den Ellbogen ins Gesicht bekommen hat“, so Nobel. „Das Bild erzählt sehr viel und ist als Einstieg besonders geeignet, weil es in die Geschichte hineinführt. Aber du bist als Fotograf zu oft selbst im Bild – der Junge achtet auf dich! Und Hände abschneiden ist ganz schlecht. Das wirkt, als ob du nicht auf die Bildgestaltung achtest.“ Aber wie Helmut ein rot-weißes Absperrband an den Pfosten knotet - bitte, das ist doch kein Foto. Und hier: Pflastersteine im Großformat - ich bin doch kein Regenwurm. Er lacht. Nobel kritisiert, dass viele der Motive von der Entfernung her aus der gleichen Distanz gemacht wurden: „Wie oft hab‘ ich euch schon gesagt, ihr sollt mehr laufen und auf die Gestik des Protagonisten und den Höhepunkt des Bewegungsablaufs achten.“ Und weiter: „Der Boxer braucht auch eine gewisse Zeit, bis er im Kampf die richtige Distanz gefunden hat und der Schlag die volle Wucht entfaltet.“ Nobel erklärt unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten: „Wechselt vom Gegenlicht ins Auflicht und dann ins Seitenlicht. Und tauscht die Objektive. Bei Teleobjektiven mit einer längeren Brennweite zwischen 70 und 300 mm wird die Tiefenschärfe reduziert und der Hintergrund rückt näher heran, so dass der Betrachter sieht, dass es letztlich um den Trainer als Hauptakteur der Geschichte geht.“ Um beim Editieren der Bilder die zahlreichen Redundanzen, die Wiederholungen aus gleichen Distanzen in ihrer Reihenfolge zu brechen, empfiehlt Nobel eine Nahaufnahme von den Pokalen im Schrank als closeup einzufügen. „Und achtet darauf, dass ihr am Rand nicht nochmal eine Fläche aufmacht, das bringt eine wahnsinnige Unruhe ins Bild. Dann beschneidet das Motiv lieber. Matteo nimmt ein anderes Foto in die Hand: Wäre hier ein Ausschnitt von den Personen besser? „Nö, es ist schön, wenn du in der Richtung, in die die Gruppe von Spielern läuft, etwas Raum lässt“, so Nobel. „Und hier, dieses Foto transportiert sehr schön, dass das gemeinsame Erlebnis im Mittelpunkt steht, wo die Bubis alle aus einer Flasche Mineralwasser trinken.“ Okay, der nächste bitte. Na, euch ist ja sehr viel zum Thema ‚Ehrenamt‘ eingefallen – der dritte Fußballtrainer jetzt!

Visual Journalism and Documentary Photography: “Und was ist das berühmteste Feuerwehr-Foto der Welt?” - Seminar ‘Kurzzeitreportage’ an der HsH Hannover

“Und was ist das berühmteste Feuerwehr-Foto der Welt?” - Seminar ‘Kurzzeitreportage’ an der HsH Hannover

In der folgenden Fotoreportage geht es um die Freiwillige Feuerwehr, die ein Studierender zum Übungseinsatz begleitet hat. Nobel schmunzelt: Wir haben ein bisschen viel Entspannung bei der Feuerwehr. „Der Feuerwehrmann, der den Helm vor dem Spiegel zurechtrückt – das hat schon etwas Satirisches!“ Die Leute stehen herum, wie beim Schützenfest. Lass uns noch eine rauchen, so schnell wird das Haus schon nicht abbrennen. Und was ist das berühmteste Feuerwehr-Foto der Welt? „Genau, Joel Sternfeld zeigt einen Feuerwehrmann am Gemüse-Stand, der in aller Ruhe einen Kürbis aussucht, während im Hintergrund das Haus niederbrennt.“

“Der jüngste Bürgermeister Deutschlands” - Besprechung der Fotoreportage mit Prof. Lars Bauernschmitt in ‘Visual Storytelling im 2. Semester

“Der jüngste Bürgermeister Deutschlands” - Besprechung der Fotoreportage mit Prof. Lars Bauernschmitt in ‘Visual Storytelling im 2. Semester. Foto: Uwe Kästner

Eine Fotoreportage macht die Handlung transparent und erzeugt eine spannende Dramaturgie. Durch wechselnde Distanzen – vom Panorama, über Totale, Halbtotale oder Nahaufnahme zum Detail – wird die Geschichte lebendig. Der Koch ist nur unscharf zu erkennen, aber beim Blick in den Topf siehst du den leuchtend roten Scampi brillant und gestochen scharf. Denn hier geht’s ums gute Essen und nicht um den Koch als Person. „Ihr müsst lernen, mit eurer Bildsprache Fotos zu machen, die hängen bleiben“, sagt Prof. Michael Trippel: „Ein Motiv, etwa von einem arabischen Markt, das wie Zimt riecht und Emotionen, Appetit, weckt.“ Er lacht: „Eine gute Geschichte ist wie ein Sound: Je besser die einzelnen Komponenten im Rhythmus aufeinander abgestimmt sind, umso besser die Qualität.“   

Der Essay transportiert dagegen sehr viel stärker die subjektive Haltung des Fotografen. Jedes einzelne Motiv deckt als Original die Stimmung und das Thema komplett ab und ist deshalb ein weiteres Argument, das die These des Fotografen als Beweis erhärtet. In der Serie, etwa zum Thema „Nacht“, werden dagegen unterschiedliche Portraits von Schlafenden gezeigt. Jedes Foto hat den gleichen Bildaufbau und den gleichen Bildinhalt – nur die Porträtierten ändern sich. „Wir interessieren uns an der HsH Hannover nur für Bewerber, deren Selbstfindungsprozess abgeschlossen ist“, betont Prof. Hauri. „Werbe- oder Kunstfotografie oder ein breitgefächertes Fotodesign bieten wir hier nicht an.“ Andererseits sind Fotojournalisten im Content Marketing oft sehr viel erfolgreicher, als Werbefotografen, weil sie schon im ersten Semester das Prinzip des Geschichten Erzählens begreifen. „Viele PR-Agenturen greifen deshalb gerne auf Fotojournalisten zurück, sagt Prof. Trippel, der nach seiner Zeit als Assistent in der Modefotografie an der Fachhochschule Dortmund studiert hat. „Deshalb bieten wir an der HsH auch ‚Bildjournalismus in der Unternehmenskommunikation‘ oder 'Bewegtbildproduktion für Marketing und PR' als Lehrveranstaltung an.

Visual Journalism and Documentary Photography - Seminar Visual Storytelling

Seminar ’Visual Storytelling’ im 2. Semester. Foto: Uwe Kästner

Alle zwei Wochen bekommen die Studierenden in Hannover für ihre Kurzzeitreportage ein neues Thema, wie etwa „Musik“. Ein Oberthema, das sechs- bis siebenmal wechselt. Und im zweiten Semester geht es schon an bezahlte Langzeitprojekte. Es wird als Basics vorausgesetzt, dass jeder weiß, was Zeit und Blende bedeuten – sonst gilt in Hannover die Philosophie des projektbasierten Lernens. „Neugierde auf die Welt ist die wichtigste Grundlage für erfolgreichen Fotojournalismus“, sagt Prof. Michael Trippel. Er schmunzelt: „Wie die Fliege an der Wand: Alles sehen, aber nicht gesehen werden.“  Zunächst kann jeder seine Kamera bei der HsH kostenlos ausleihen: „Aber du bekommst einen Fotoapparat, den du nicht kennst.“ Ein farbiger Papierausdruck kostet an der Hochschule 5 Cent. „Im 3./4. Semester sollte jeder seine eigene Kamera-Ausrüstung haben“ - für etwa EUR 1.500. Und einen Rechner. „Beispiel: Du fährst nach Chemnitz zu einer rechtsradikalen Veranstaltung – Adrenalin pur. Dann musst du blind wissen, wie der Zoom funktioniert.“      

Visual Journalism and Documentary Photography studieren - Von der Empore im vierten Stock der HsH Hochschule Hannover hat man einen guten Blick über das Atrium und das Design Center

Von der Empore im vierten Stock der HsH hat man einen guten Blick über das Atrium des Design Centers. Foto: Uwe Kästner

„Der jüngste Bürgermeister Deutschlands“ heißt Klaras Bildreportage zum Thema „Politiker“. Um den zu portraitieren, fuhr Klara extra nach Lauenstein. Nun liegen ihre Fotos auf dem Tisch. „Das Dorf wirkt, wie ausgestorben“, erzählt Klara. „Die Schule ist geschlossen und im Freibad befindet sich mitten im Sommer kein Wasser.“ Tim Tietz wohnt mit einundzwanzig noch bei seinen Eltern. Mit 18 trat er in die SPD ein. Jetzt arbeitet er vier Tage die Woche als Anlagenmechaniker und einen Tag als ehrenamtlicher Bürgermeister, der einen Etat von 3 Tsd. EUR verwaltet. ‚Visual Storytelling‘ steht für das zweite Semester auf dem Stundenplan. Von der Empore im vierten Stock hat man einen guten Blick über das Atrium und das Design Center mit seinen unterschiedlichen Studiengängen. „Deine Fotos vermitteln die Trostlosigkeit des Ortes“, lobt Prof. Lars Bauernschmitt Klaras Arbeit: „Der Rundgang mit dem Bürgermeister ist eine schöne Struktur.“ Dass die Buchstaben des Schriftzugs ‚Freiwillige Feuerwehr‘ angeschnitten sind, kritisiert Bauernschmitt dagegen heftig: „Und hier, die senkrechten Linien sind ganz schief!“ Er lacht: „Mit letzter Kraft drückte sie den Auslöser.“ Jannick ist in Tschechien zuhause und hat zum Thema „Arbeit“ den deutschen Botschafter in Prag einen Tag lang begleitet. „Der Botschafter hatte nur wenige Minuten Zeit, mir sein Amtszimmer zu zeigen und dann gings zum Holocaust-Denkmal, wo ich den Botschafter bei seiner Rede fotografieren durfte“, erzählt Jannick. „Solche Leute versuchen, euch zu steuern, und ihr müsst versuchen, auszubrechen, betont Bauernschmitt. „Er sagt dir, wo er fotografiert werden will und dann macht er in gekünstelter Körperhaltung diese Pose vor der EU-Flagge.“      

Visual Journalism and Documentary Photography studieren – ‚Der jüngste Bürgermeister Deutschlands‘ als Thema in Visual Storytelling

“Der jüngste Bürgermeister Deutschlands” als Thema im Seminar Visual Storytelling. Foto: Uwe Kästner

„Du wirst von Anfang an mit realen Projekten arbeiten“, betont Prof. Michael Hauri: „In Zusammenarbeit mit Nachrichtenredaktionen. Oder NGO’s. Im ‚Educational Newsroom‘ setzt du dich mit echten Themen auseinander und lernst, wie man kreative Ideen in visuelle Inhalte verwandelt.“ Hauri weiter: „Ein besonderes Highlight ist unser eigenes digitale Magazin, in dem du bereits während des Studiums deine Arbeiten veröffentlichen kannst.“ Fotojournalismus kennt keine Grenzen: Es gibt auch die Möglichkeit, an internationalen Projekten teilzunehmen und Auslandserfahrungen zu sammeln. Bei Exkursionen, Austauschprogrammen oder Kooperationen mit Universitäten weltweit. So entsteht eine globale Perspektive mit dem Ziel, Geschichten aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu erzählen. Geschichten über weltweite Krisen, sportliche Großveranstaltungen oder politischen Meilensteine.

Visual Journalism and Documentary Photography an der HsH Hochschule Hannover im Design Center studieren

Design Center an der Expo Plaza der HsH Hochschule Hannover. Foto: @ HsH Lam Nguyen

Die Absolventen der HsH sind in der Medienwelt gefragt: Einige deutsche Fotojournalisten wurden für prestigekräftige Preise, wie den Pullitzer-Preis nominiert oder haben – wie Prof. Christoph Bangert oder zuletzt etwa Julius Schrank und Jonas Kakó - beim World Press Photo Award abgeräumt. Ob als freiberufliche Fotografen, Videoproduzenten, Multimedia-Redakteure, Mobile Journalisten – „MoJos“ oder bei der Arbeit in NGO’s: Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit renommierten Medienhäusern. Die HsH hat feste Praktikumspartnerschaften mit Redaktionen, wie der F.A.Z Frankfurter Allgemeine und der Leipziger Volkszeitung. Regelmäßig gehen die Studierenden aber auch zum Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, DIE ZEIT und der Süddeutschen Zeitung. Diese Praktika bieten die Möglichkeit, wertvolle Kontakte und Netzwerke zu knüpfen, die später im Berufsleben helfen können. „Die Absolventen der HsH sitzen überall als Bildredakteure in den Qualitätsmedien - von stern über DER SPIEGEL, F.A.Z bis zur Süddeutschen.“

In Visual Journalism hat die Hochschule Hannover Praktikumspartner, wie FAZ, DER SPIEGEL, stern oder Süddeutsche Zeitung

Neben festen Praktikumskooperationen mit FAZ oder LVZ absolvieren Studierende auch Praktika bei DER SPIEGEL, GEO, stern, DIE ZEIT, Süddeutsche Zeitung oder beim MDR

„Magazine, wie stern oder DER SPIEGEL vergeben Aufträge für Fotoreportagen oder Portraits für EUR 300 bis EUR 500 pro Tag“, sagt Prof. Trippel. „Mit sieben bis acht Aufträgen pro Monat konnte ich immer gut leben. Heute sind die Etats von Redaktionen jedoch oft kleiner, weil Online wenig Profit abwirft. Und Magazine müssen sich nicht selten aus Werbung finanzieren, weil die Auflage kontinuierlich sinkt.“ Trippel wirkt nachdenklich: „Von Fotojournalismus kann ich heute keine ganze Familie mehr ernähren. Ich brauche ein zweites Standbein, etwa in der Werbe- oder Industriefotografie oder über Filmaufträge. Für eine Mischkalkulation.“ In einem Interview mit Prof. Lars Bauernschmitt berichtet dieser über den Wandel in der fotojournalistischen Ausbildung hin zu mehr Bewegtbild und die Zukunft des Bildjournalismus in Zeiten vom KI.       

Visual Journalism and Documentary Photography studieren – Mappenberatung im Design Center der HsH Hochschule Hannover an der Expo Plaza mit Prof. Lars Bauernschmitt

Mappenberatung im Design Center der HsH Hannover an der Expo Plaza mit Prof. Lars Bauernschmitt. Foto: Uwe Kästner

Wer sich für das Studium interessiert, reicht eine Mappe mit fotografischen oder filmischen Projekten ein. Die HsH bietet regelmäßig Mappenberatungen online oder vor Ort an, deren Termine auf der Website zu finden sind. „Im Auswahlverfahren zählen nicht nur deine Schulnoten, sondern vor allem deine Ideen und dein Blick auf Geschichten“, so Prof. Hauri. Wolfgang hat eine Kurzreportage über eine Oldtimer-Werkstatt in s/w fotografiert: „Das ist eine schöne Situation mit dem ausgeweideten 11er von Porsche. Aber ich möchte als Betrachter gerne wissen, was die Mechaniker gerade machen“, kritisiert Prof. Lars Bauernschmitt, der nach seinem Studium an der Essener Folkwang Universität der Künste über fünfzehn Jahre als Geschäftsführender Gesellschafter einer großen Bildagentur, der VISUM Foto GmbH, Fotos professionell vermarktet hat und deshalb u.a. das Seminar Bild als Ware/ Image Market leitet: „Der Kfz-Mechatroniker verdeckt mit seinen Händen den Arbeitsvorgang und läuft auf dem anderen Foto planlos herum. Der Betrachter wird allein gelassen mit der Frage, was macht der Mechaniker auf dem Foto und wo guckt der eigentlich hin?“ Entschuldigung, kann ich so nicht drucken, hätte Rolf Gillhausen vom stern gesagt, erinnert sich Bauernschmitt. „Aber hier: Die Werkbank mit den Schraubenschlüsseln.“ Die Nahaufnahme erzählt sehr viel über die Atmosphäre und den Typen in der Werkstatt: „Der scheint im Prinzip die ‚freie Ablage‘ zu bevorzugen, wenn ich seinen ‚Schreibtisch‘ so betrachte.“ Bauernschmitt schmunzelt: „Der Mechaniker muss wohl eine leidenschaftliche Beziehung zu seinen Oldtimern haben. Aber diese Leidenschaft will ich auf den Bildern auch sehen.“ Und warum hast du schwarz-weiß fotografiert? Wolfgang erzählt von den alten s/w-Fotos seiner Eltern und dass Oldtimer eben auch ‚alt‘ sind.

Visual Journalism and Documentary Photography studieren – Mappenberatung im Design Center der HsH Hochschule Hannover zu einem Bewerber-Portfolio über eine Oldtimer-Werkstatt

“Schöne Situation mit dem ausgeweideten 11er von Porsche”: Mappenberatung zu Portfolio über Oldtimer-Werkstatt. Foto: Uwe Kästner

Drei Bildstrecken mit je 10 – 20 Fotos sollten die Arbeitsproben im pdf - Format umfassen – alternativ ein Video von etwa zwei Minuten. Hier hochzuladen zwischen dem 01.11.24 und dem 15.03.25. Wie du eine Fotoserie erstellst, ist hier mit Beispielen kurz erklärt. „Wer erst im Februar mit einer Vielzahl anderer Kurzentschlossener zur Mappenberatung kommt – da kann ich nur noch Schadensbegrenzung betreiben“, so Bauernschmitt. Und wer anderen die Welt erklären will, muss vorher schon bisschen was erlebt haben. „Wir haben aktuell ein Altersspektrum von achtzehn bis 49. Viele haben alle möglichen Jobs gemacht oder etwas anderes studiert.“ Er schmunzelt: „François war Lokführer in Frankreich und eine promovierte Chemikerin gehört auch zu unserem Mix.“ Prof. Michael Hauri ergänzt: „Wir sind auch gegenüber Bewerbern ohne Abitur sehr offen: Bewerber, die der Prüfungskommission ausdrücklich erklären, dass sie die Feststellung einer überragenden künstlerischen Befähigung beantragt haben, können auch ohne Abi zugelassen werden.“ Die HsH ist eine ‚offene Hochschule‘ und aktuell studieren fünf von 40 Erstsemestern ohne Abi, z.B. einige Waldorf-Schüler.   

Nach dem Hochladen der Arbeitsproben bewertet die Auswahlkommission die Mappe. Wer dafür eine Mindestzahl an Punkten bekommt, wird zum Auswahltag in Hannover Mitte Mai 2025 eingeladen und bekommt das Thema für eine Hausarbeit. Das Thema kann beispielsweise die Auseinandersetzung mit einer Zahl sein, welche der Bewerber in einer journalistischen Publikation gefunden hat und die ihn besonders bewegt. Etwa die Zahl ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer, die Zahl sexueller Übergriffe auf Frauen oder die Explosion der Kosten für Lebensmittel in Prozentzahlen. Am Auswahltag findet eine Begrüßung aller Bewerber der Fakultät Design im Hörsaal statt. Studierende des 2. Semesters, die als Scouts für eine lockere Atmosphäre sorgen, begleiten die Bewerber in die Studiengang-Räume im fünften Stock, wo diese von den Professoren ihre Prüfungs-Aufgaben erhalten. Zum Beispiel a) einen Menschen auf der Expo Plaza in drei Bildern porträtieren, b) einen Gegenstand oder eine Location fotografieren. Und beschreiben, welche Geschichte der Gegenstand bzw. der Ort erzählt und c) eine Illustration zum Thema "Metropolis" bzw. "Endstation Sehnsucht" fotografieren. Die Studierenden helfen als Scouts, die Fotos auszudrucken und begleiten die Bewerber zum mündlichen Teil. Denn ein 15-minütiges Kolloquium in einer 4er-Gruppe ist Teil des Auswahlverfahrens. Drei Professoren und zwei Studierende als Auswahlkommission helfen, sich gegenseitig einen ersten Eindruck zu bilden und sich kennen zu lernen. Gegen 17 Uhr werden die Ergebnisse bekannt gegeben. Das Punktesystem: Drei Professoren vergeben für die Mappe jeweils einen bis drei Punkte, ebenso für die Hausaufgabe und die gestalterische Prüfung vor Ort. Für das Kolloquium können sogar bis zu 5 Punkte vergeben werden. Mit 15 von 44 Punkten ist die Prüfung bestanden. Weniger als das Dreifache an Bewerbern, also knapp 100 Personen hatten sich zuletzt auf 37 Plätze beworben. In der Reihenfolge dieses Rankings werden die Plätze besetzt. Ggf. durch Nachrücker. Eine bestandene Eignungsprüfung ist für weitere zwei Jahre, also bis 2027, gültig.

Der Süddeutsche Verlag bietet neben dem klassischen Redaktionsvolontariat auch ein Schwerpunkt-Volontariat, etwa im Bildjournalismus für die Arbeit im Visual Desk. Foto: Uwe Kästner 

Der Süddeutsche Verlag bietet ein Volontariat im Bildjournalismus für die Arbeit im Visual Desk. Foto: Uwe Kästner 

Ortswechsel: Von der S-Bahn-Station Berg am Laim zur Hultschiner Straße im Münchner Osten sind es nur wenige Meter. Im Frühjahr 2025 schreibt die Süddeutsche Zeitung hier wieder acht unterschiedliche Stellen für ein zweijähriges Volontariat aus, um Hochschulabsolventen die Chance zu bieten, das journalistische Handwerk in allen Facetten zu erlernen. Es wird mit 2.202 EUR im ersten und 2.521 EUR im zweiten Jahr tariflich bezahlt. Neben dem klassischen Redaktionsvolontariat werden auch Schwerpunkt-Volontariate, wie etwa im investigativen Journalismus, im Audio-Bereich, im Bildjournalismus oder im Schwerpunkt Design, Foto und Animation angeboten. Denn es geht nicht nur ums Schreiben. Die Volontäre lernen auch, wie man eine digitale Ausgabe produziert. Es gibt ein Podcast-Team, ein Video-Team und einen Visual Desk mit Wolfgang Jaschensky als Leiter, an dem Fotografen und Bildredakteure, Designer sowie Texter Multimedia gestalten. Hier wird die gesamte Expertise für das Visuelle auf allen Kanälen gebündelt. In der Entwicklungsredaktion entstehen beispielsweise scroll basierte Hintergrundvideos. Oder es werden Bilder für den Hintergrund produziert, während Textboxen darüber scrollen. Speziell für Mobile Screens geht es darum, Bilder oder Infografiken permanent in der oberen Hälfte des Bildschirms zu fixieren, während sich der Text in der unteren Bildhälfte bewegt.

Süddeutscher Verlag SZ - Cafeteria

Süddeutscher Verlag - Cafeteria. Foto: Uwe Kästner

Das klassische Redaktions-Volontariat verbringst du dagegen am Newsdesk, in einer der Lokalredaktionen und am Visual Desk, ein paar Wochen in der Bildredaktion und im Social Media Team und bei SZ-Plus. Im zweiten Jahr ist die Wahl eines Wunschressorts möglich. Eine individuelle Betreuung durch einen Mentor aus dem Kreis der Leitenden Redakteure ist garantiert. Ebenso ergänzende Seminare an der Akademie der Bayerischen Presse. In der Regel bildet die SZ sieben Text- und einen Bildredakteur aus. „Der Bedarf an Bildredakteuren und Fotografen ist jedes Jahr unterschiedlich und wir schreiben die verschiedenen Volontariate bedarfsabhängig jedes Jahr neu aus“, sagt Karin Kampwerth, die neue Volontärs-Beauftragte der SZ. Ab wann spezialisiert man sich im Journalismus auf eine bestimmte Fachrichtung oder ein bestimmtes Themengebiet? „Unsere Schwerpunkt-Volontäre kommen bereits mit einer ausgeprägten Expertise in einem bestimmten Bereich – Daten, Social, Bild. Ansonsten kümmern wir uns im zweiten Jahr des Volontariats um eine fachliche Ausrichtung und fördern diese mit der entsprechenden Stationswahl“, so Kampwerth gegenüber dem Portal medien.jobs: „Zuletzt kamen auf die acht Plätze rund 280 - 330 Bewerbungen.“ Volontariate im Journalismus sind heißbegehrt, besonders solche in namhaften Unternehmen, wie der SZ. Und das nicht ohne Grund: Das Volontariat hat auf dem Arbeitsmarkt für Redakteure einen viel höheren Stellenwert, als der Bachelor-Abschluss. „Letztlich zählt die Qualität der Arbeitsproben: Ist das ein Beitrag, den man drucken kann?“, sagt Detlef Essinger, Ressortleiter Meinung bei der SZ: „Ich lese immer als erstes den ersten Absatz von 2 - 3 Arbeitsproben. Davon den ersten Satz.“ Er lacht: „Wenn der Text lautet: ‚Als der Bürgermeister die Anwesenden begrüßte‘, dann landet das in der Ablage, auch wenn das ein bißchen arrogant klingt. Die Süddeutsche ist ein Stamm mit vielen Ästen und Zweigen und sucht einen unterschiedlichen Mix aus Menschen, die sich für Washington und Milbertshofen interessieren.“ Esslinger war über zehn Jahre Ressortleiter Innenpolitik und für die Ausbildung der Volontäre zuständig: „Es gibt keine Chance für denjenigen, der gegen das 11. Gebot verstößt: Du sollst nicht langweilen. Denn die Zeit, wo man eine Zeitung abonnierte, so wie man einen Reisepass beantragt hat, ist endgültig vorbei.“ Übrigens: Der typische SZ-Volontär ist zwischen 25 und dreißig und verfügt über einen Master-Abschluss.

„Wir haben im Moment neun Foto-Volos“, sagt Michael Kappeler, Cheffotograf bei der dpa Deutsche Presse Agentur – der größten international tätigen deutschen Nachrichtenagentur mit 80 Korrespondentenbüros in aller Welt und 50 Standorten in Deutschland. Zum Beispiel in der Münchner Arnulfstr. 25, nahe Hackerbrücke - das Landesbüro Bayern. dpa arbeitet strikt überparteilich - den Fakten verpflichtet. Und hat als unabhängige Agentur eine riesige Reichweite. Richtigkeit geht vor Schnelligkeit. Die Abo-Kunden der privatwirtschaftlich organisierten dpa sind gleichzeitig ihre Gesellschafter – aktuell 170 an der Zahl: ARD und ZDF haben mit 11% den größten Gesellschafter-Anteil und sind – wie oben erklärt – zugleich wichtige Kunden.

dpa Deutsche Presse Agentur Berlin - Im Newsroom sprach Berufsberater Uwe Kästner mit Cheffotograf Michael Kappeler und   Recruitment Officer Patrick Neumann

dpa Deutsche Presse Agentur - Newsroom in Berlin. Foto: Uwe Kästner

 Vier Rollentypen werden aktuell bei der dpa ausgebildet:

-        Multimedialer Reporter, der Texte schreibt, mit O-Tönen Audio-Beiträge erstellt und Fotos und Videos fertigt   

-        Visual Reporter, der als VJ Videos filmt und O-Töne aufnimmt, fotografiert und Nachrichten vor allem visuell denkt

-        Visual Regisseur, der Bild- und Videomaterial bearbeitet und Visual- und Multimedia-Reporter betreut

-        Regisseur, der plant, Texte redigiert, Fotostrecken editiert und zusammenfügt und das Netzwerk vom dpa-Newsroom aus organisatorisch steuert    

 

Pro Halbjahr – zum 01. September 2025 oder zum 01.03.26 werden jeweils acht Stellen angeboten. Zuletzt gingen ca. 300 Online-Bewerbungen auf die Stellenausschreibung ein. „Wir gucken zuerst, ob jemand schon etwas online veröffentlicht hat und tolles Geschick mitbringt: Etwa in einem Online-Magazin, bei einer Radio-Reportage, im lokalen Fernsehen und ob er gute Arbeitsproben eingereicht hat. Es ist optimal, wenn der Kandidat über Praktika schon möglichst viele Redaktionen ausprobiert hat, um zu sehen, wie die so ticken oder dort etwas zur Veröffentlichung eingereicht hat.“ Ein halbes Dutzend an Arbeitsproben wird gesichtet. Zehn Arbeitsproben sind dagegen fast schon grenzwertig. Es folgt ein Online-Interview. Die 24 besten Bewerber werden zum Auswahltag mit Wissenstest, einer praktischen Übung und einer Gruppendiskussion nach Berlin eingeladen. Übungsthema kann beispielsweise die „Energiekrise“ sein - Fotos und ein Pitch als Ergebnis der Übung werden erwartet. Bei der Gruppendiskussion – etwa zu „Waffen an die Ukraine“ bekommt jeder eine konkrete Rolle: Als Friedensaktivist oder Waffenlobbyist usw. Gesucht ist eine untereinander gut funktionierende Gruppe von Volontären, die sich trotz extrem unterschiedlicher Interessen interaktiv perfekt ergänzt. Einer mit Weltreise, ein anderer, der sich sozial stark engagiert. Typen, die schon eine fachliche Expertise für die Schnelllebigkeit von Nachrichten mitbringen, um später den eigenen Bedarf der dpa zu decken. „Extrem leidenschaftliche Künstler und Kriegsfotografen fallen in der Bewerberrunde raus“, betont Patrick Neumann, Recruitment Officer und Ausbildungsleiter der dpa-Redaktion. „Und Bilder von einem umgefallenen Sack Reis wollen wir auch nicht sehen. Wer sich in die Hose pinkelt, wenn bei der Demo die Steine geflogen kommen, kann gleich zuhause bleiben.“ Cheffotograf Michael Kappeler ergänzt: „Unsere Arbeit geht mehr Richtung Premium: Wir machen als Multiplikator von Bildern kein Foto von einer Steckdose, um den steigenden Strompreis zu visualisieren.“ Sondern dpa sucht Schreiber, die auch fotografieren können. Und Fotografen, die multimedial aufgestellt sind und wissen, wie man eine Nachricht aufbaut und den Text dafür unfallfrei schreibt. Leute, die in Social Media unterwegs und gut vernetzt sind.   

Aktuell beschäftigt dpa 27 Fotoredakteure, die Hälfte ist fest angestellt“, sagt Cheffotograf Michael Kappeler: „Aber es ist eine ungesunde Alterspyramide, viele stehen vor ihrem Ruhestand.“ Während Wortredakteure in einem speziellen Ressort, wie Politik oder Wirtschaft für dpa aktiv sind, sind Fotoredakteure horizontal in allen Bereichen unterwegs – vom Bundeskanzleramt über eine Filmpremiere bis zur Fußballbundesliga. Eine hohe Allgemeinbildung und eine gute redaktionelle Umsetzung sind essenziell und der Schlüssel zum Erfolg. „Unsere Fotojournalisten, das ist ein Künstlerhaufen. Hart und durchsetzungsstark in einem extrovertierten Job.“ dpa-Cheffotograf Michael Kappeler lacht: „Die lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen.“ Die Motive werden über ein Kabel an der Kamera direkt in die Redaktionen von dpa gesendet. Als Regisseur muss ich Lust darauf haben, in der Bildredaktion mit den Fotos von anderen zu arbeiten. Bei der Kommunikation mit anderen Gewerken, mit Textern, Grafikern und Audioleuten, ist einen breite Interessenlage wichtig. Recruiting Officer  Patrick Neumann schätzt die Absolventen in Fotojournalismus der HsH Hochschule Hannover sehr: „Aber aktuell haben wir auch einen Foto-Volontär vom Lette Verein.“

Visual Journalism and Documentary Photography studieren - Sportfotografie  Fußball Bundeliga dpa Deutsche Presse Agentur

“Für die Arbeit im Stadion benötigst du eine Akkreditierung der DFL”, sagt Jan Woitas, Fotojournalist bei dpa am Standort Leipzig, der aus der Fußball Bundesliga über die Heimspiele von RB Leipzig berichtet. Foto: Uwe Kästner

Ortswechsel: Jan Woitas ist Fotojournalist bei dpa am Standort Leipzig: „Ich habe an der Universität Leipzig bei Prof. Haller Journalistik studiert. Auf eine Fotografen-Lehre hatte ich keine Lust.“ 1998 fing er als Bildjournalist an. Die Leipziger Volkszeitung zahlte damals 50 DM pro Foto im Mantel und 30 DM für die Kleine Landkreis-Ausgabe, was später 1:1 in Euro umgerechnet wurde. Wenige Jahre später wechselte er zur dpa, wo er festangestellt wurde. Er hat das keinen einzigen Tag bereut: „Heute gibt es bei der LVZ nur noch 25 EUR pro Bild.“ In jedem Bundesland hat dpa etwa drei Fotografen, einer davon ist der „Chef“. Außerdem freie Fotografen. „Im Bereich der ‚neuen Bundesländer‘ beschäftigt dpa aktuell 11-12 festangestellte Fotografen. „Ich melde nach Berlin, was wir alles planen und vorhaben. Wenn der Bundeskanzler kommt, ist das natürlich ein Pflichttermin, ggf. mit Überstunden. Aber die Arbeitszeit ist mit 40 Stunden fest geregelt.“ Er erzählt, dass es bei dpa keine Bildredakteure gebe. die nach Fotomotiven im Netz googlen. Nur eigene dpa-Fotos werden an die Abonnenten weitergegeben. Teilweise aber auch im Austausch mit der österreichischen APA. „Klassische Sportfotografen haben wir bei der dpa aber nicht, solche Spezialisten findet man eher bei Reuters oder getty images“, so Woitas. „Für die Arbeit im Stadion benötigst du eine Akkreditierung der DFL, für das Trainingslager nicht.“ Woitas berichtet regelmäßig über die Heimspiele von RasenBallsport Leipzig durch seine Fotos. Die Reise ins Trainingslager von RB Leipzig wurde Woitas durch die dpa finanziert. Er beklagt, dass der Bundesligist Motive, wie etwa von teambildenden Bootsfahrten in einem reißenden Gebirgsfluss, immer mehr selbst unter Kontrolle bringen will. Und dass bei öffentlichen Trainings die Distanz zu den Spielern mit 200 Metern Luftlinie viel zu groß sei.

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